Lokalpatrioten denken global

Posted in Presse on Mrz 22, 2004

BAD WALDSEE – Die a cappella-Gruppe „Mannes Sangesmannen“ brachte mit selbstverfassten, meist urschwäbischen Texten und Liedern ein reiches und vielfältiges Repertoire auf die Bühne im gerade erst eröffneten Haus am Stadtsee, Programm und Markenzeichen waren eine Einheit.

Von unserem Mitarbeiter Walter Steinestel

Die Gruppe frönt dem Lokalpatriotismus, lässt diesen in fast allen Abschnitten bis ins Detail einfliessen, überhöht ihn bisweilen — dies alles jedoch, um recht verstanden zu werden, nicht ohne viel Selbstironie. Ob Volkslieder in parodistischem Gewande, vom Madrigal der Renaissance bis hin zum Popsong: mit urschwäbischem Text, beweisen verbale und musikalische Inspirationen, oft scheinbar flach, dann wieder besonders intellektuell, mit der Hintergründigkeit an Gesinnung, Tradition, Religiosität und natürlich der Individualität.

Die sieben einstigen Klosterschüler des Salvatorkollegs Bad Wurzach scheuen kein Thema, auch nicht am Rande mitmenschlicher Beziehungen, Und stets ist die Devise erkennbar, Sprache und Kultur hier, wo sie aufgewachsen sind und zur Schule gingen, hoffähig zu machen. Nicht nur weiß man, woher sie kommen, sie zeigen es auch augenfällig gleich zu Beginn beim Einmarsch durch die dichtgedrängten Reihen hinauf zur Bühne mit Tragtaschen „Michelberger Bad Wurzach“. Es spricht für den herrschenden liberalen Geist ihrer ehemaligen Lehranstalt, dass sie aber auch global denken in jeder Beziehung.

Sie zogen alle Register, bemerkenswert: unter Verzicht auf jede instrumentale, gar elektronische Basis. Der a cappellla-Gesang in reiner Form feierte sozusagen wieder einmal Urständ. Herauszuheben der musikalische Leiter und Textschöpfer, Manfred Gaupp. Gekonnt und bis ins Detail geformt seine den schwäbischen Liedern unterlegten Texte, die variantenreiche Schöpfung des Melos beim Liedgut. So brachte das Ensemble gleich eine am Abend oft wiederholte und deshalb einprägsame Neukomposition über das neue Haus am Stadtsee als Ohrenschmaus: „Do sott ma na, so oft wie ma ka!“

Kontakt zum Publikum

Herausragend auch die Moderation von Johannes Ott als äusserst versierter Conferencier und Entertainer, welcher auf der Klaviatur massenpsychologischer Erkenntnis bestens zu spielen weiß. Meist in direktem Kontakt zum Publikum, ob jung oder älter, sucht er den Weg zur Basis, integriert in sein Frage- und Antwortspiel akzentuierte Gestik und ansprechende Mimik, auch entsprechende Körperbewegungen bei all seinen mehr oder weniger versteckten Hurras aufs Oberland. Da ist von „Reing’schmeckten“ die Rede, vom Sprachkurs für Nichtschwaben, und Wortspiele wie „Polygamie-Polygamo, Libidie-Libido“ brachten das Publikum schier aus dem Häuschen. Das Menschlich-Allzumenschliche wird in unterhaltsamer Weise glossiert, in verkleinerter Sketchart amüsant transparent. Als Beispiel: Eine Mutter in Oberschwaben will ihren Sohn endlich verheiratet sehen. Die Frage, wen er bevorzuge, seine Antwort: „Herbert“. Die Mutter schüttelt den Kopf, die Zuhörer mutmaßen. „Warum nicht?“ fragt der Sohn. Antwort der Mutter: „Weil er evangelisch ist.“ Der Moderator weist noch auf „wüstgläubig“ hin. Riesenbeifall im Saal.

Flötenspiel mit Luft aus einem Nasenflügel, „d’Metzelsupp“ und natürlich „d’Liab“ mit den verschiedensten mundartlichen Deutungen und Verfremdungseffekten halten das Publikum bis zum Schluss in Atem. Die Klatschhände tun weh. Mannes Sangesmannen wollen nach gut zwei Stunden endlich abtreten. Geht nicht. Zugabe um Zugabe wird ertrotzt.

Schwäbische Zeitung 22. März 2004